Wären Kinder die besseren Bestatter?

„Die müssen wir jetzt beerdigen!“ 

In unserem letzten Nordsee-Urlaub fanden meine Kinder auch ein paar tote Tiere am Strand. Ihr völlig selbstverständlicher Kommentar dazu: „Die müssen wir jetzt beerdigen“. Ganz wichtig war ihnen die Beerdigung eines toten Kaninchens, das Grab ist auf dem Foto zu sehen. Wichtig war ihnen, dass das Kaninchen gut beschützt ist, damit es nicht von einem anderen Tier ausgegraben wird und, dass es schön aussieht. Noch viele weitere Tage sind wir zum Kaninchengrab, um zu schauen, ob das auch alles so funktioniert hat, wie sie sich das vorgestellt haben, aber auch um weiter zu dekorieren. Steine und Äste zum Schutz, Gräser und Muscheln als Dekoration. Wunderschön, sie so vertieft zu sehen. Meine Strandspaziergänge musste ich ab da alleine machen, sie waren ja so beschäftigt.

Dabei bin ich ins Grübeln gekommen. Und hab mich mal ganz provokativ gefragt: Wären Kinder nicht die besseren Bestatter? Wissen sie nicht ganz instinktiv genau, was wirklich gut tut und gebraucht wird? Ich erlebe in der Begleitung von Kindern extrem häufig ein tiefes spirituelles Wissen und ein liebevoller Glaube an was auch immer. Aber immer bin ich berührt und lächle – weil diese kindliche Weisheit nur selten in der Begleitung mit Erwachsenen auftaucht und ich soviel von diesen Kindern lernen darf. Was ist mit unserer Intuition passiert, nicht zu wissen, was wir gerade in Trauerzeiten brauchen? Erwachsene sind in den Themen Tod und Trauer sehr häufig ängstlich, überfordert, vorbelastet und weit weg von dem, was sie brauchen.

„Omi braucht unter der Erde auch Licht, es ist so dunkel da unten, deshalb malen wir ihr eine Sonne an die Kopfseite vom Sarg.“ 

Mein großer Sohn hatte vor ein paar Jahren von sich aus die Idee, den Sarg meiner Mutter zu bemalen. Die Kinder waren damals 7 und 9 Jahre alt. Im ersten Trauerschock und völlig übermüdet von der Sterbebegleitung fiel mir das gar nicht ein. Auch im Vorfeld hatte ich mir viel zu wenig Gedanken gemacht über den Tag, der ja ganz sicher irgendwann gekommen wäre. Meine Kind wußte, wie es gehen sollte, er kannte es aus „Die Sendung mit der Maus“ und die Begründung für das Bemalen war so logisch: „Omi braucht unter der Erde auch Licht, es ist so dunkel da unten, deshalb malen wir ihr eine Sonne an die Kopfseite vom Sarg.“ 

„Ihre Mutter liegt schon drin – sie sieht wirklich gut aus.“

Mit einem großen Korb voll mit Malkitteln, Acrylfarben und Abdeckplane für den Boden wanderten wir also ein paar Tage vor der Beerdigung noch in die Trauerhalle, wo der Sarg stand. Wir hatten im Vorfeld keine Ahnung, dass meine Mutter schon darin lag. Und ich war froh, dass meine Kinder draußen auf dem Friedhof herum liefen, denn als ich dem Bestatter unsere Grabbeigaben für den Sarg geben wollte, schaute er mich lächelnd an und meinte, das könne ich auch gleich selbst machen. Ich muss ziemlich blöd geschaut haben, als der Bestatter mir sagte, dass sie schon drin liegt und ich mich am besten nochmal verabschieden soll. „Frau Sutor, sie sieht wirklich gut aus, ich hab sie gerade gerichtet“ sind die einzigen Worte, an die ich mich noch erinnern kann und dann öffnete er den Sarg. Für Gegenargumente blieb gar kein Raum und ich bat ihn nur, dafür zu sorgen, dass die Kinder nicht reinkommen. Noch heute bin ich dankbar um diesen wertvollen Moment, sie so friedlich zu sehen, ihre kühle Hand und ihr weiches Haar zu berühren, um das gemeinsame Verschließen des Sargdeckels. 

Heute würde ich die Kinder mit zum offenen Sarg nehmen.

Ich schmunzle bei der Erinnerung, als meine Kinder reinkamen und die erste Frage war: „Liegt die Omi da drin?“ Und ich wirklich Angst hatte, ihnen zu sagen, dass es so ist. Im Nachhinein kann ich nur laut darüber lachen, denn auf meine Bestätigung kam die praktische Erkenntnis meiner schlauen Jungs: „Du musst an ihren Kopf die Sonne malen, ich mache ihr an die Füße einen Regenbogen!“ sagte der Kleine zum Großen. Fertig – keine komischen Fragen, kein verzogenes Gesicht, nichts. Einfach nur, was jetzt zu tun ist. Damals war ich noch keine Trauerbegleiterin, heute würde ich die Kinder mit zum offenen Sarg nehmen. Liebevoll begleitet wäre es eine gute Möglichkeit gewesen, Abschied von Verstorbenen zu üben. Aber auch so kamen sie ins Tun – sie waren Teil des ganzen Prozesses, sie waren wichtig und was sie nur in diesen Tagen gelernt haben, zieht sich bis heute durch ihren guten Umgang mit Tod und Trauer. Wenn ich auf Beerdigungen gehe, wo Freunde von ihnen sind, gehen sie selbstverständlich mit. Kommentar meines großen Sohnes, als er beim Begräbnis der Oma seines Freundes dabei war „Ich weiß doch wie das ist, es muss sich doch auch einer um Ch. kümmern.“ Meine Freundin war so dankbar, ihren Sohn nach der Trauerfeier in verständnisvoller Gesellschaft zu wissen.

Ich glaube, Kinder haben ein tiefes Wissen über das, was vor oder nach dem Leben passiert.

Wenn ich mit Kindergarten- und Schulkindern Ideen entwickle, wie jemand verabschiedet werden kann, bin ich immer nur in der Rolle der Moderatorin. Die Ideen sprudeln nämlich von ganz alleine, ich muss sie nur ein bißchen in Bahnen bringen. Sie scheinen genau zu wissen, was zu tun ist. Das gleiche geschieht übrigens, wenn ich mit Erwachsenen, ganz speziell in Unternehmen, arbeite. Wenn diese von dem Glauben befreit werden, dass es feste „Regeln“ geben muss, um eine/n Mitarbeiter/in zu verabschieden. Wenn sie die Abschiedsfeier FÜR den Verstorbenen und FÜR SICH SELBST ganz persönlich gestalten, wenn Geschichten und Anekdoten Raum finden dürfen. Dann gelingen Abschiede wunderschön und es schweißt Teams über Hierarchien hinweg enger zusammen. Raum schaffen für Gefühle und freies Denken. Das Durchbrechen von Zwängen und Ängsten – das sehe ich als meine Aufgabe. 

Was ist mit unserer Intuition geworden? Albert Einstein hat mal gesagt: „Die Intuition ist ein göttliches Geschenk, der denkende Verstand ein treuer Diener. Es ist paradox, dass wir heutzutage angefangen haben, den Diener zu verehren und die göttliche Gabe zu entweihen.“

Gerade in Trauerprozessen halte ich es für unglaublich wichtig, tief in uns reinzuhören, gut für sich zu sorgen wird Überlebenswichtig. Zu spüren, was brauche ich genau jetzt? Und Deine Intuition kannst Du im Alltag immer wieder trainieren und damit zum Leben erwecken. 

Spüre in Dich hinein, reduziere alles was im Außen ist. Handy aus, Telefon aus, keine Störungen für einige Minuten, immer mal wieder. Dadurch schaffst Du wieder Raum für Dich und Deine Gefühle und Gedanken. Vertraue Dir dabei selbst – Intuition geht nicht ohne Vertrauen! Spüre bei Entscheidungen, wie sich Dein Körper dabei anfühlt. Er hat feine Antennen, wenn etwas nicht stimmig ist. Kinder reagieren fast immer intuitiv, je kleiner desto mehr. Wir können so viel von ihnen lernen. 

Fragt die Kinder und hört ihnen zu!

Wenn in einer Familie jemand stirbt, ermutige ich immer, auch die Kinder zu fragen, wie sie den Abschied gestalten würden. Das hilft Kindern und Erwachsenen und schafft oft ganz besonders kreative und liebevolle, persönliche Abschiede. Manchmal habe ich den Eindruck, dass gerade junge Kinder noch so nah am Lebensursprung sind, in den wir im Tod wieder zurück gehen, dass sie so genau wissen, was da passiert und gebraucht wird. Ich wünsche uns allen Kontakt zu diesem Zauber, den dieses Wissen beinhaltet.